Großes Interesse am Tag des offenen Denkmals 2025
Zahlreiche Münsteraner:innen nutzten die seltene Gelegenheit, unseren altehrwürdigen jüdischen Friedhof an der Einsteinstraße zu besuchen. In drei spannenden Stationen erfuhren sie mehr über die Geschichte des jüdischen Friedhofs und die dort Bestatteten, über jüdische Bestattungsrituale und die Arbeit des Fördervereins – ein starkes Zeichen für Erinnerung, Dialog und Solidarität in unserer Stadtgesellschaft.
Am heutigen Sonntag, 14.09.2025, dem bundesweiten „Tag des offenen Denkmals“, öffnete die Jüdische Gemeinde Münster wieder die Tore ihres Friedhofs an der Einsteinstraße. Bereits kurz vor 11:00 Uhr hatten sich zahlreiche interessierte Besucher/innen vor dem Eingang versammelt, um einen der verborgensten und zugleich geschichtsträchtigsten Orte der Stadt des Westfälischen Friedens kennenzulernen.
Nach einer herzlichen Begrüßung durch Sharon Fehr, Mitglied der Jüdischen Gemeinde Münster, führte Frau Prof. Dr. Marie Theres Wacker in die bewegte Geschichte des jüdischen Friedhofs ein. Sie schilderte anschaulich, wie die Jüdische Gemeinde zu Beginn des 19. Jahrhunderts vor der Herausforderung stand, für ihre Verstorbenen einen eigenen Begräbnisplatz zu schaffen. Im Jahr 1812 wurde der Friedhof schließlich angelegt – ausgelöst durch einen konkreten Todesfall, der den dringenden Bedarf nach einer eigenen Begräbnisfläche unterstrich. Bis dahin mussten die Toten mühsam in weit entfernte jüdische Friedhöfe überführt werden, was für die Angehörigen mit großem logistischem und emotionalem Aufwand verbunden war.
Frau Prof. Wacker ordnete den jüdischen Friedhof außerdem in die Stadtgeschichte ein: Er dokumentiert nicht nur die lange Kontinuität jüdischen Lebens in Münster, sondern spiegelt auch die Entwicklung der Gemeinde vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Sie machte auf die Vielfalt der Grabsteine aufmerksam – von den ersten schlichten Sandsteinplatten mit hebräischen Inschriften bis hin zu kunstvoll gestalteten Grabsteinen aus der Zeit des 20. Jahrhundert, die neben Hebräisch auch deutsche Texte tragen
Herr Dr. Ludger Hiepel, Akademischer Rat an der Katholisch-Theologischen Fakultät und Beauftragter der Universität Münster gegen Antisemitismus, knüpfte an die Geschichte an und erinnerte an die erste Jüdische Gemeinde in Münster im Mittelalter, die im 14. Jahrhundert während der Pestpogrome ausgelöscht wurde. Er stellte zudem die Verbindung zwischen dem jüdischen Friedhof, der Erinnerungskultur und dem Engagement der Zivilgesellschaft her.
Darüber hinaus berichtete er von der Gründung des Fördervereins Jüdischer Friedhof Münster e.V., der sich für Erhalt, Pflege und wissenschaftliche Aufarbeitung der Friedhofsgeschichte einsetzt und eine Web-App „Jüdisches Leben Münster“ entwickelt hat, mit der die Geschichte der Jüdischen Gemeinde vom Mittelalter bis in die Gegenwart anschaulich vermittelt wird. Die Web-App ist unter www.juedisches-leben-munster.de abrufbar.
Ein gut sichtbares Rollup des Vereins mit QR-Code zur Website stand am Eingang zur Trauerhalle und lud die Gäste zum weiteren Informieren und Mitwirken ein.
Nach dieser Einführung in die Geschichte des jüdischen Friedhofs erhielten die Besucherinnen und Besucher zunächst etwa zehn Minuten Zeit, um den Friedhof selbstständig zu erkunden, die Grabreihen auf sich wirken zu lassen, Unterschiede zu anderen Friedhöfen wahrzunehmen und die besondere Atmosphäre dieses Ortes in Ruhe auf sich wirken zu lassen.
Anschließend versammelten sich alle wieder bei uns Referenten. Dort wurden sie in Gruppen aufgeteilt. Etwa die Hälfte der Anwesenden hörte zuerst eine Einführung in jüdische Trauerbräuche und allgemein in die jüdische Religion bei Sharon Fehr, während die andere Hälfte bei Frau Wacker oder Herrn Hiepel zu ausgewählten Grabsteinen geführt wurde, an denen die Biographie der Bestatteten anschaulich wurde.
Nach etwa 35 Minuten wechselten die Gruppen, sodass jede/r Teilnehmer/in beide Schwerpunkte mitnehmen konnte. Diese Struktur hat sich über all die Jahre bewährt, da sie ein intensives und zugleich abwechslungsreiches Kennenlernen der historischen, gesellschaftlichen und religiösen Dimensionen unseres jüdischen Friedhofs ermöglicht.
Sharon Fehr führte in die zentralen Themen der jüdischen Religion rund um Sterben, Tod, Bestattung und Verhalten auf dem jüdischen Friedhof ein. Er erläuterte die religiöse Bedeutung des jüdischen Friedhofs als „Haus des Lebens“ (Beit HaChaim) oder „Haus der Ewigkeit“ (Beit Olam), die unantastbare Würde der Grabstätten und die rituellen Schritte der jüdischen Bestattung: von der rituellen Waschung der Verstorbenen durch die Chewra Kadischa (Beerdigungsbruderschaft), über die schlichte, würdige Einbettung in einen Holzsarg bis hin zum Kaddisch-Gebet am Grab. Die Stufen der Trauerbewältigung – von der siebentägigen Schiv'a bis zum jährlichen Jahrzeit-Gedenken – wurden erläutert, um zu zeigen, wie diese Rituale den Hinterbliebenen helfen, mit ihrem Verlust umzugehen.
Darüber hinaus blieb genügend Raum für Fragen. Immer wieder interessierten sich die Besucher/innen für die verschiedenen Symbole auf den Grabsteinen. Sharon Fehr erläuterte den Davidstern als Zeichen jüdischer Identität, die segnenden Priesterhände (Kohanim) für Angehörige aus der Priesterlinie, den Wasserkrug als Symbol der Leviten sowie den siebenarmigen Leuchter (Menora) als Zeichen des Lichts und der Hoffnung.
Beim Wechsel der Gruppen äußerten die Besucherinnen und Besucher immer wieder ihre Begeisterung, dankten herzlich – und spendeten viel Applaus.
Mehrere Besucherinnen und Besucher bedauerten zwar, dass der jüdische Friedhof nicht jederzeit zugänglich ist, zeigten aber großes Verständnis für die Erklärung, dass er als Oase der Stille, des Gebets, der Erinnerung und des Friedens bewusst geschützt werden muss.
Gerade in einer Zeit, in der jüdische Einrichtungen – wie auch unsere Synagoge in Münster – rund um die Uhr unter Polizeischutz stehen, in der antisemitische Parolen auf Schulhöfen geäußert werden und alte Vorurteile erschreckend lautstark wiederkehren, war die Entscheidung der heutigen Besucher/innen, sich bewusst mit jüdischer Geschichte, Religion und Kultur auseinanderzusetzen, ein starkes Zeichen der Solidarität, der Verantwortung und der Hoffnung.
Die Jüdische Gemeinde Münster wird sich weiterhin bemühen, im Rahmen des Tags des offenen Denkmals diesen besonderen Ort der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und so den Dialog zwischen jüdischer und nichtjüdischer Stadtgesellschaft zu fördern.
Unser besonderer Dank gilt Frau Prof. Dr. Marie Theres Wacker und Herrn Dr. Ludger Hiepel für ihr langjähriges, unermüdliches Engagement zugunsten unserer Jüdischen Gemeinde Münster. In all den vielen Jahren der vertrauensvollen Zusammenarbeit durften wir sie als verlässliche, einfühlsame und inspirierende Wegbegleiter jüdischen Lebens in Münster erleben – Menschen, die Brücken bauen, Verständnis fördern und dazu beitragen, dass jüdische Geschichte und Gegenwart in unserer Stadt lebendig bleiben.
Gez.: Sharon Fehr
(Jüdische Gemeinde Münster)
